Internationale Tagung "Krieg im Geschlechterkontext – Themenfelder und Perspektiven der Frauen- und Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkrieges"
Zeit: 29. September bis 1. Oktober 2011, Universität Wien
Call for Papers: Einreichungen bis 31. Dezember 2010 (Details siehe unten)
organisiert von Birgitta Bader-Zaar (Universität Wien), Christa Hämmerle (Universität Wien) und Oswald Überegger (Universität Hildesheim), im Rahmen der Forschungsplattform "Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte" der Universität Wien in Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedensforschung (AKHF)
Das Programm der englischsprachigen Tagung "The First World War in a Gender Context. Topics and Perspectives" finden Sie hier.
Call for Papers
Forschungen zum Ersten Weltkrieg haben seit längerem Konjunktur, wenn auch nicht in allen nationalen Historiographien und Wissenschaftskulturen gleichermaßen. Besonders neue Inhalte und Ansätze der Weltkriegsforschung sind sehr disparat vertreten, was transnationale Perspektiven noch immer erschwert.
In hohem Ausmaß gilt das bis heute für frauen- und geschlechtergeschichtliche Untersuchungen, obwohl längst deutlich geworden ist, dass die damaligen Kriegsgesellschaften ebenso wie die komplexen Folgen des Ersten Weltkrieges ohne Berücksichtigung der analytischen Kategorie Geschlecht nicht ausreichend erfasst und verstanden werden können. Denn in allen beteiligten Staaten führte dieser weitgehend totale Krieg nicht nur zur breiten Unterstützung des Krieges durch Frauen an der weiblich konnotierten "Heimatfront", sondern auch zu ihrem gegenläufigen Einsatz in den Kampfgebieten. Zudem wurde im Ersten Weltkrieg weit wirkmächtiger als je zuvor soldatische Männlichkeit idealisiert – mit Implikationen für die hegemonialen Geschlechter- und Gesellschaftsordnungen, die auch pazifistische Bemühungen und Aktivitäten erschwerten. Die umfassende Stilisierung der nationalen Volksgemeinschaften zu Kampfgemeinschaften, und damit verbunden Kriegshetze und ideologische Verblendung, sind ein europäisches Phänomen, ebenso wie die Erfahrung kriegerischer Gewalt bis hin zum aktiven Töten, zu Flucht und Vertreibung – in vielerlei auch geschlechterdifferenten Ausprägungen.
Wie aber lassen sich bereits vorliegende Arbeiten zu solchen Themenfeldern der Frauen- und Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkrieges bündeln? Welche Bilanz ergibt die Zusammenschau einschlägiger Forschungen und wo liegen bestehende Schwerpunkte und Defizite des Forschungsfeldes – zum Beispiel im Vergleich unterschiedlicher nationaler Untersuchungen oder in Bezug auf die neueste Männlichkeitsforschung? Und wie dringlich gestaltet sich die Anbindung genderspezifischer Studien an politik-, sozial- und wirtschafts-, kultur-, mentalitäts- und/oder gesellschaftsgeschichtliche Perspektivierungen des Ersten Weltkrieges? Welche Differenzen bestehen, wenn der Blick erweitert wird und nationale Historiographien in einen übergreifenden, komparatistischen Kontext gestellt werden? Lassen sich dann bislang getroffene Einschätzungen der Forschung noch aufrecht erhalten und Historikerinnen-Debatten – etwa zur kriegsbedingten Virulenz der Geschlechterbeziehungen oder einer angeblich emanzipativen Wirkung des Krieges – verallgemeinern?
Die vom 29. September bis 1. Oktober 2011 stattfindende internationale Tagung "Krieg im Geschlechterkontext – Themenfelder und Perspektiven der Frauen- und Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkrieges" will solchen Fragen anhand von vier ausgewählten Themenkomplexen nachgehen, die zentral scheinen für dieses Forschungsfeld. Damit nimmt sie das bevorstehende Erinnerungsjahr 2014 zum Anlass für eine eingehende Diskussion, will die bisherigen Ergebnisse bilanzieren und zukünftige Forschungsperspektiven entwerfen – auch im Sinne eines Beitrages zur Historischen Friedensforschung, die sich unter anderem besonders intensiv mit Aspekten der gesellschaftlichen Militarisierung und Militarismuskritik befasst hat.
Einschlägig forschende Historikerinnen und Historiker sind eingeladen, ihren Vorschlag für einen Beitrag zu dieser Tagung in Form eines Abstracts zu einem der vier folgenden, eng miteinander verflochtenen Themenbereiche spätestens bis 31. Dezember 2010 einzureichen.
* Kriegsfront – Heimatfront: Der Erste Weltkrieg wurde auch als „Volkskrieg“ geführt, gemäß einem seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert generierten Kriegskonzept, das auf die Mobilisierung aller menschlichen und materiellen Ressourcen zielte. Daher entstanden damals nicht nur Fronten, sondern ebenso „Heimatfronten“. Wie, mittels welcher Kriegs- und Geschlechterbilder, figurierten nationale Diskurse zwischen 1914 und 1918 diese neue Gesellschaftsordnung, die eine – hierarchisch konstruierte – Differenz zwischen den Frontsoldaten und einer „weiblich“ gesetzten „Heimatfront“ verabsolutierte? Lassen sich diesbezüglich Veränderungen im Kriegsverlauf festmachen, und konterkarierende Entwürfe für eine Geschlechterordnung im Krieg? Kam es tatsächlich in allen kriegführenden Staaten zur breiten Mobilisierung einer „Heimatfront“? Welche Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte wurden in der Kontrastierung zwischen „Front“ und „Heimat“ generiert?
* Gewalt: Militär- und Zivilgesellschaft erlebten die Präsenz von Gewalt im Krieg (wie die Erfahrung von Gefangenschaft, sexueller Gewalt oder von anderen Formen kriegerischer Gewalt bis hin zum aktiven Töten) in teilweise sehr unterschiedlicher, aber durchaus auch in ähnlicher Weise. Welche Rolle spielte das persönliche Erleiden oder die Teilhabe an physischer oder psychischer Gewalt innerhalb der Kriegserfahrung von Männern bzw. Frauen? Wie wurde Gewalt anlassbezogen gedeutet und welche geschlechtsspezifischen Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten lassen sich diesbezüglich festmachen? Wie gestaltete sich der Umgang der Kriegsgesellschaften mit dem massenhaften aktiven Töten und welche täter- und opferspezifischen Erinnerungsmuster bildeten sich im Laufe des Krieges und in der Nachkriegszeit heraus? Inwiefern lassen sich diesbezüglich nations-, landes- beziehungsweise regionsspezifische Unterschiede und Auffälligkeiten verorten? Die Imagination, Erfahrung und Ausübung (auch exzessiver) kriegerischer Gewalt beeinflusste auch herrschende Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen. Inwiefern hat die Veralltäglichung von Gewalt Geschlechterkonstruktionen verändert, demontiert, neu definiert oder auch radikalisiert?
* Citizenship: Der Kriegszustand hatte deutliche Auswirkungen auf das patriotische Selbstverständnis der Frauenbewegungen, die in einen spezifischen Diskurs des citizenship von Frauen im Kontext des Krieges mündeten, dessen Wurzeln in das 19. Jahrhundert zurückreichen. In diesem Themenbereich könnte neuen Aspekten dieser Auseinandersetzung mit staatbürgerlicher Inklusion, insbesondere deren Verwobenheit mit nationalistischen Diskursen in Gebieten, die nach politischer Autonomie strebten, nachgegangen werden. Hier soll aber auch die Umsetzung des Anspruches auf die gleichberechtigte Integration von Frauen in den Staat Berücksichtigung finden. Inwiefern war der Krieg ein Katalysator für Vorkriegsforderungen der Frauenbewegungen, insbesondere im Licht einer häufig postulierten De-Radikalisierung dieser Forderungen durch den Kriegsdiskurs? Und welche Rolle nahmen dann Demobilisierung und Stabilisierung hierarchischer Geschlechternormen in der Nachkriegszeit in dieser Hinsicht ein?
* Friedensengagement: Unter diesem Thema sollen jene vielfältigen nationalen wie staatenübergreifenden Bemühungen, Aktivitäten und Konzepte fokussiert werden, die von Kriegsbeginn an auf ein rasches Ende des Weltkrieges zielten – sei es im Kontext der Organisation internationaler Friedenskonferenzen in neutralen Staaten oder sei es in Form von widerständigem, häufig verfolgtem Handeln in den kriegführenden Staaten selbst. Ab wann und in welchen Kontexten entwickelten sich Forderungen nach Frieden? Wer waren die Träger und Trägerinnen solcher Proteste, in welchen Netzwerken waren sie organisiert? Welchen neuen Fokus können Forschungen zum pazifistischen Engagement und zu den Geschlechterleitbildern der Friedensbemühungen von Frauen einnehmen?
Die von Birgitta Bader-Zaar (Universität Wien), Christa Hämmerle (Universität Wien) und Oswald Überegger (Universität Hildesheim) organisierte Tagung wird im Rahmen der Forschungsplattform "Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte" der Universität Wien in Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedensforschung (AKHF) veranstaltet.
Ein besonderes Interesse der Tagung ist es, Forscherinnen und Forscher einzuladen, die sich mit in der historischen Forschung bisher eher vernachlässigten Kriegsschauplätzen sowie kriegführenden Staaten und Gesellschaften, etwa in Ost- und Südosteuropa, beschäftigen. Die Beiträge werden in einem Tagungsband veröffentlicht.
An der Teilnahme Interessierte senden bitte ein deutsch- oder englischsprachiges Abstract ihres Vortragsvorschlags in der Länge von ca. einer Seite (ca. 2500 Zeichen) und ein CV bis zum 31. Dezember 2010 an: neuverortung.geschlechtergeschichte@univie.ac.at (Michaela Hafner)