Elise Richter (1865-1943) gehört zu den herausragenden Gestalten der österreichischen Frauen- und Wissenschaftsgeschichte: 1901 zum Doktor der Philosophie promoviert, 1904 als erste Frau im deutschsprachigen Raum habilitiert, lehrte die Romanistin von 1907 bis zu ihrer würdelosen Entlassung im April 1938 an der Wiener Universität.
Durch NS-Repressalien an wissenschaftlicher Tätigkeit gehindert (sie war als Tochter jüdischer Eltern geboren und zum Protestantismus konvertiert), verarmt und von Krankheit gezeichnet, verfasste sie 1940 einen autobiografischen Text, dem sie den Titel „Summe des Lebens“ gab.
So detailreich die betagte Gelehrte darin ihre „Welt von Gestern“ schildert, so zurückhaltend äußert sie sich zu den dramatischen Ereignissen der Schreibgegenwart. Diese werden nur durch ihre Tagebücher – vier kleine, eng mit Bleistift beschriebene Taschenkalender aus den Jahren 1938 bis 1941 – sichtbar.
Elise Richters Tagebücher dokumentieren aber nicht nur ihr individuelles Leid. Sie liefern darüber hinaus wertvolle Hinweise zum Schicksal einst prominenter Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur und rücken eine bislang wenig beachtete Opfergruppe in den Mittelpunkt: Jene der alten, allein stehenden Frauen, die – wie Elise und Helene Richter, ihrer Schwester (1861-1942), mit der sie stets zusammenlebte – durch das NS-Regime verfolgt, zu Tode kamen.
Die seit 1947 in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek bewahrten Tagebücher werden nun – für den genannten Zeitraum – erstmals vollständig und in kommentierter Form ediert. Mit einem umfangreichen Register versehen, sollen sie auf der Website der „Forschungsplattform Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte“ publiziert werden.
Publikation "Dies mein zweites Leben soll nicht gemordet werden.“ Elise Richter und ihre Tagebücher"
In Kooperation mit der Wienbibliothek im Rathaus (Link) wurden auch Elise Richters Jugenderinnerungen bearbeitet. In diesem 1884 handschriftlich verfassten „Versuch einer Selbstbiographie“ schildert die erst 19-Jährige ausführlich ihre Kinder- und Jugendjahre. Gemeinsam mit den Inhalten der Tagebücher sowie weiterem Archivmaterial ist das die Grundlage von dem Buch „'Dies mein zweites Leben soll nicht gemordet werden.' Elise Richter und ihre Tagebücher – eine Biografie“, das von Christine Karner erarbeitet und von Christa Hämmerle herausgegeben wurde. Es ist 2025 im Löcker Verlag Wien erschienen (Link)
Die Buchpräsentation fand am 21. Jänner 2025 in der Wienbibliothek im Rathaus statt. Das Programm sowie einige Bilder davon finden sie unter diesem Link.
Projektmitarbeiterinnen: Ingrid Brommer und Christine Karner